Falscher Gefahrtarif — Was tun? ‑Teil I
Beitragszahlungen zur Berufsgenossenschaft können für Unternehmen je nach Gewerbezweig und Tätigkeit der Beschäftigten sehr kostenintensiv sein. Doch was, wenn man berechtigte Zweifel an der Korrektheit der Einordnung zu einer Gefahrklasse und damit der den Beiträgen zugrundeliegenden Veranlagungs-und Beitragsbescheide hat? Können diese geändert werden und hat man bestenfalls sogar einen Anspruch auf Rückzahlung zu viel entrichteter Beiträge?
Der folgende Artikel beschäftigt sich mit den rechtlichen Möglichkeiten und Grenzen für Unternehmen bei der Zuordnung zu einem falschen Gefahrtarif. Insbesondere die Konsequenzen und potentiellen Hürden sollen hierbei beleuchtet werden.
1. Rechtsgrundlage
Der Unfallversicherungsträger veranlagt Unternehmen für die Tarifzeit nach einem Gefahrtarif zu den Gefahrklassen mittels eines Veranlagungsbescheides entsprechend § 159 Abs.1 S.1 SGB VII. Der Gefahrtarif wird nach Tarifstellen gegliedert, in denen Gefahrengemeinschaften nach Gefährdungsrisiken unter Berücksichtigung eines versicherungsmäßigen Risikoausgleichs gebildet werden.
2. Rechtmäßigkeit eines Gefahrtarifes
Der Erlass von Gefahrtarifen wird als „Akt autonomer Rechtssetzung“ verstanden. Er ist also eine eigene Rechtsgrundlage, auf der gegenüber den betroffenen Unternehmen „Veranlagungsbescheide“ und später dann konkrete Beitragsbescheide erlassen werden. Da der Gefahrtarif selbst kein Verwaltungsakt ist, ist er als solches auch nicht unmittelbar angreifbar.
Gegen den Veranlagungsbescheid kann jedoch innerhalb eines Monats Widerspruch eingelegt werden. Die Widerspruchsstelle überprüft dann die Ordnungsgemäßheit der Veranlagung in die Gefahrtarifstelle. Hierbei kann es auch zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Gefahrtarifes selbst kommen, in aller Regel bestätigen Gerichte jedoch dessen Rechtskonformität und billigen den Unfallversicherungsträgern einen weit gehenden Beurteilungsspielraum zu (vgl. z.B. BSG, 24.06.2003 — B 2 U 21/02 R). Wird der Widerspruch versäumt, wird der Veranlagungsbescheid bestandskräftig. Dies hat zur Folge, dass der darauffolgende Beitragsbescheid nicht mit der Argumentation angegriffen werden kann, dass der Veranlagungsbescheid falsch sei.
Sollte der Unternehmer nun aber Zweifel an der korrekten Zuordnung zu einem Gefahrtarif haben, sollte sich dieser – ungeachtet seiner Säumnis – dennoch um eine Aufhebung des Veranlagungsbescheides gemäß § 160 II SGB VII bemühen. Der Veranlagungsbescheid wird mit Wirkung für die Vergangenheit nämlich dann aufgehoben, soweit
1. | die Veranlagung zu einer zu niedrigen Gefahrklasse geführt hat oder eine zu niedrige Gefahrklasse beibehalten worden ist, weil die Unternehmer ihren Mitteilungspflichten nicht oder nicht rechtzeitig nachgekommen sind oder ihre Angaben in wesentlicher Hinsicht unrichtig oder unvollständig waren, | |
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die Veranlagung zu einer zu hohen Gefahrklasse von den Unternehmern nicht zu vertreten ist.
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Der für den Unternehmer bedeutendere Fall der zu hohen Veranlagung ist nicht bereits deshalb von ihm zu vertreten, weil er sich nicht rechtzeitig gewehrt hat. Sollte eine Änderung angestrebt werden, scheitert diese daher nicht zwangsläufig an der Bestandskraft des Veranlagungsbescheides. Denn § 160 SGB VII ist überhaupt erst anwendbar, wenn ein Veranlagungsbescheid bestandskräftig ist und erfordert die zusätzliche Prüfung, wer die unrichtige Veranlagung überhaupt zu vertreten hat. Der Unternehmer hat eine unrichtige Veranlagung jedenfalls dann nicht zu vertreten, wenn er richtige und vollständige Angaben gemacht hat und es auf Grundlage dessen zu einer Falschbeurteilung gekommen ist.
Wie lohnenswert dann auch eine späte Prüfung sein kann, zeigt folgender Fall:
Ein Unternehmen betrieb seit 1991 den Verleih von Geschirr, Möbeln und Zubehör, sowie den Verleih und Ab- und Aufbau von Partyzelten. Die Berufsgenossenschaft ordnete das Unternehmen 1991 und 1999 dann als Zeltbaubetrieb der Tarifstelle Zimmererarbeiten, Ingenieurholzbau, Tribünenbau und Zeltbau zu. Konsequenz dessen war die Gefahrklasse 10,5. Nun erfolgte jahrelang keine Prüfung, erst als es zu finanziellen Schwierigkeiten kam, fiel die viel zu hohe Gefahrklasse auf. Erst 2001 beantragte das Unternehmen die Gefahrklasse herabzusetzen und scheiterte bei der Berufsgenossenschaft.
Das LSG entschied letztlich, dass es tatsächlich zu einer Falschveranlagung gekommen sei und die Gefahrklasse 3,5 dem tatschlichen Gefährdungsrisiko entspräche. Denn bei lebensnaher Betrachtung läge kein Zeltbau im Sinne dieser Tarifstelle vor. Es handelte sich beim dem durch das Unternehmen ausgeübten Gewerbezweig nicht um einen solchen, der durch Arbeiten in großen Montagehöhen geprägt sei und bei dem deshalb ein erhebliches Absturzrisiko – und damit hohes Gefährdungsrisiko – bestünde. Die Zeltkonstruktion des Unternehmens konnte vielmehr vom Boden aus aufgebaut werden; die Plane wurde mittels Zugseilen über den Rahmen gezogen.
Auch der Argumentation der Berufsgenossenschaft, dass nur der Unternehmer geschützt sei, der bei aller Sorgfalt eine rechtszeitige Klärung der Veranlagung nicht erreichen konnte, folgte das Gericht nicht. Denn es sei auch nach Ansicht des Gerichtes nicht ernsthaft von Unternehmern zu erwarten, dass sie die komplizierte Materie des Beitragsrechts genauso durchdringen, wie ein Mitarbeiter der Berufsgenossenschaft (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 18.1.2007, Az. L 6 U 96/06).
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